Das ewige Dilemma des kranken Arbeitnehmers: Zur Arbeit gehen oder zu Hause bleiben? Wer sich auf den Weg ins Büro macht, wird schon im Bus gehasst. Bleibt man zu Hause, vermuten sie im Büro eine Kombination aus Drückebergerei und schwächlicher Konstitution. Das ist nicht gut für die Karriere.
Nach meiner Erfahrung besteht die allerbeste Strategie daher darin, sich einmal im Jahr schwerkrank ins Büro zu schleppen: Sich mit eiternden Augen durch die Gänge tasten, am Ende eines kräftezehrenden, schmerzhaft-trockenen Hustenanfalls im Zeitlupentempo vom Bürostuhl rutschen, den Wundverband erst dann wechseln, wenn die Kollegen einen auf die blutdurchtränkte Bluse aufmerksam machen. Ganz wichtig: das Verhalten danach. Es kommt auf die richtige Mischung aus gemurmelten Entschuldigungen und geschäftsmäßigem Zur-Tagesordnung-übergehen an. Auch muss man sicherstellen, dass sich möglichst viele Kollegen anstecken – erst dann sickert die Erkenntnis, dass es hier jemandem nicht gut geht, im Team wirklich ein. Wenn man dann das nächste Mal krank ist, kann man tatsächlich auch mal zwei Tage zuhause bleiben, sich ausruhen und gesund werden – der Chef wird das Schlimmste vermuten.
Das Problem: Das oben beschriebene Vorgehen muss regelmäßig wiederholt werden, denn Kollegen wechseln die Abteilung und Chefs sind vergesslich. Wer sich aber immer wieder krank ins Büro schleppt, riskiert, Opfer seiner eigenen Strategie zu werden. Die meisten Menschen wollen einer Umfrage zufolge im Hospiz sterben – und nicht im Büro. Die Vorstellung, dass der Chef der letzte ist, auf den der Blick fällt, jagt dann doch auch dem treuesten und fleißigsten Arbeitnehmer kalte Schauer über den Rücken.
In der Nachbarschaft haben wollen die Leute, der gleichen Umfrage zufolge, aber lieber keine Hospize. Und bei der Umfrage ging es nicht um Anfahrtswege oder ähnliches, nein, nein: Die Leute wollen einfach nicht dauernd an die eigene Sterblichkeit erinnert werden!
Der Mensch ist ein Dummkopf. Es gibt nichts Besseres, als dauernd an die eigene Sterblichkeit erinnert zu werden! Sonst kratzen wir uns nämlich irgendwann auf dem Sterbebett am Kopf und gucken empört!
Wir alle brauchen ein Hospiz in der Nachbarschaft! Dafür verzichte ich freiwillig auf den vierten Drogeriemarkt im Viertel.
Ich sterbe nämlich lieber voller Falten als voller Bedauern.